Ein Brief von Frau Dr. Renate Bielefeld Kuschinski, 31. Januar 2013

Sehr geehrter Herr Stephani,

die jüdische Familie meiner Großmutter väterlicherseits lebte einst in Ruskova, Goldstein und Hecht waren meine Urgroßeltern –  so wie viele andere der Namen in Ihren gesammelten Gesprächen auch in meiner Familie vorkamen.
Ich denke, dass Ihre Sammlung absolut authentisch und hervorragend ist, der 2010 verstorbene Cousin meines Vaters (neben meinem Vater und seiner Schwester, beide verstorben, der einzige weitere Überlebende der Familie – ausser den früh in die USA ausgewanderten, d.h. zwischen 1906 und 1929) kam als 17jähriger mit seinen Großeltern Fischer und seinen drei Geschwistern 1944 in das Ghetto Wischau [ein abgegrenztes Areal im ehemaligen Schtetl Ojberwischo]; er hat als einziger Auschwitz überlebt. Er verbrachte nur die ersten Lebensjahre in der Maramaros, danach wuchs er in Budapest auf, bis seine Mutter dachte, die Kinder wären in der Maramaros sicher – ein fataler Irrtum.
Seine Erzählungen über die wenigen Wochen in Wischau finden sich in den Erzählungen Ihrer Zeitzeugen nahezu identisch wieder. Mein Vater verbrachte viele Ferien nach 1922 in Ruskova, und auch er hat uns in seinen Erzählungen immer von einem ausgewogenen Zusammenleben berichtet, nie wurde uns Hass gegen die früheren Nachbarn „gepredigt“, im Gegenteil. Die Tante meines Vaters (die  nach Israel auswanderte) berichtete von den ausgeraubten [jüdischen] Häusern, so wie ich es in Ihrem Band nachlese.
Ich habe die Orte besucht, und die Welt vor 1944 gibt es nicht mehr, gleichwohl wurde ich von allen jetzt dort Lebenden mit großer Höflichkeit und großem Respekt behandelt, was auch widerspiegelt, was Ihre Zeitzeugen aussagen.

Ihre Dokumentationen sind m.E. ein großartiges, gelebtes Beispiel, wie Versöhnung ohne Vergessen im heutigen Europa aussehen kann. In unserer Familie haben wir Ihre kleinen Bände zu der Dokumentation unserer Familiengeschichten gelegt, künftige Generationen sollen lernen, daß es einmal gute Nachbarn oben im Wassertal gab.

Ihre Renate Bielefeld Kuschinski