Es gab eine Zeit, da fuhren wir manchmal im Sommer nach Fono, einem kleinen ungarischen Dorf, abseits vom Karussell der Ereignisse, die einen manchmal aus der Bahn werfen. An Fono ging das Weltgeschehen seit jeher unbemerkt vorbei – vielleicht darum, weil dieser Ort in keinem Autoatlas eingezeichnet ist. Und wie ich hörte, hat sich da in den letzten Jahren nichts verändert.

Es gibt hier eine Kneipe, eine Kirche und einen Friedhof. Diese Reihenfolge stimmt so. Denn man trifft sich meistens in der Kneipe und ganz selten in der Kirche. Und auf dem Friedhof schon gar nicht, denn hin kommt man nur unfreiwillig, nämlich wenn man hin kommen muss. Und am Tag danach steht man dann meist schon am Tor zur Ewigkeit, wie mir einmal ein Priester erklärte, und wartet reumütig auf Einlass. Man könnte auch sagen, Fono liegt so weit weg vom Lauf der Dinge, dass sich dort die Füchse Gute Nacht sagen, wie es im Volksmund heißt, nämlich: Jó éjszakát…

Nun, in diesem Dorf, das tagsüber meist still vor sich hin lächelt, gibt es keine Füchse, die nachts unverhofft erscheinen; und Gute Nacht sagen einem auch die vielen Hunde nicht, die bis abends spät hinter den Lattenzäunen ihrer Höfe warten, dass jemand vorbei kommt.

Sie hocken dort im Dunkeln und lauern auf Passanten, die sich ihrem „Revier“ unbedacht nähern und ein paar Schritte am Zaun des Bauernhofs entlang gehen. Dann springen sie plötzlich aus dem Dunkel hervor und kläffen, sie schimpfen laut und bedrohlich, als müssten sie etwas verteidigen. Doch was das ist, erfährt man nicht, und man weiß auch nicht, wer diese Hunde sind. Denn man kann sie nicht sehen, weil Hof und Hinterland ebenfalls im Dunkeln liegen. So bleiben diese gehässigen Hunde sozusagen anonym.

Sie führen ihren Dialog über Höfe und Gärten hinweg, und meist ist es so: Wenn irgendwo ein Hund anschlägt – sei es wegen eines Spaziergängers oder einfach nur, weil er auf sich aufmerksam machen will –, antwortet ihm gleich ein anderer, und dann meldet sich wiederum ein nächster, und danach fallen alle Hunde in diesen Lautwechsel ein. Sie bellen angestrengt und böse, und schließlich wissen sie gar nicht mehr, was der Anlass war zu diesem Bellgefecht. Doch das ist schließlich unwichtig. Denn es heißt vieldeutig in der klangvollen Sprache der Pußtabewohner: Kutyából nem lesz szalonna – aus einem Hund wird kein Speck, nämlich: Wer als Hund geboren wurde, wird immer ein Kläffer bleiben.

Die Spaziergänger aber, meist Ortsfremde, die abends nicht vor dem Fernseher sitzen wollen, meiden die Nähe der dunklen Zäune, die entlang des Gehsteigs stehen. Und so wandern sie einfach auf der  spärlich beleuchteten Hauptstraße, wo man nur den letzten Spuren des Alltags ausweichen muss – den Kothaufen der Herde, die vorher hier vorbeigezogen ist. Denn Autos verkehren um diese Zeit nicht mehr, und der Traktorist hat sein Gefährt längst abgestellt und sitzt in der Kneipe.

Von einem Dorfende zum anderen dauert so ein Spaziergang etwa achtzehn Minuten. Wenn man aber etwas rascher geht, ist man vielleicht schon nach fünfzehn Minuten dort angelangt, wo die Straßenbeleuchtung plötzlich endet – und damit auch  die Welt der Hunde von Fono.

Am Dorfrand kann man dann kurz stehen bleiben, tief einatmen und hinaus lauschen in die Stille des Abends, die von dunklen Feldern kommt und von fernen Akazienwäldern, deren blühende Bäume im Mondlicht langsam sichtbar werden. Man hört das rhythmische Lärmen der Grillen und auch die klagenden Rufe der Nachtvögel. Mehr hört man eigentlich nicht. Denn das Bellen jener unbekannten Hunde dringt nicht bis her, wo der Weg beginnt, der hinführt zu den Akazienwäldern, und von dort weiter, hinaus in die Welt… oder wo der Weg endet, der, vorbei am Kot des Alltags, wieder zurück führt – zurück ins Dorf.

Ihre hündischen Lautattacken entfalten sich somit, wie man jetzt erst merken wird, nur in ihrem Dorf. Hinter den dunklen Zäunen, wo niemand sie sehen kann und sie sich sicher fühlen in ihrem Revier.

Ihr bedrohliches Bellen begleitet einen so am  Abend, wenn man das Haus verlässt. Es sind die späten Rufe einer kleinen Mondo cane, könnte man meinen. Und auf ungarisch würde man sagen: kutya után ugat, mit anderen Worten:  Wie die Alten, so die Jungen, nämlich: Wenn die Jungen den Mund aufmachen, lassen sich die Alten nicht verleugnen – jene Alten, die ihnen das Kläffen beigebracht haben.

So geht das Blaffen und Belfern weiter, wenn der Tag gegangen ist und der Abend kommt. Doch das alles erreicht einen eigentlich nur dann, wenn man jene Hunde beachtet und nicht mitten auf der Straße geht.

© Claus Stephani