…wo sind sie geblie-hiben?

So könnte ein Song beginnen, würde ein Sänger seine klärende Stimme erheben. Und das wäre dann etwas ganz Neues, nämlich eine singende Aufarbeitung jüngster Vergangenheit. Denn von dieser Vergangenheit könnte man ein langes Liedchen singen. Zum Beispiel ein Liedchen von Redaktionskollegen einer Banater Zeitung, die in den 1980er Jahren für den rumänischen Geheimdienst gearbeitet haben und deren Namen anscheinend damals schon bekannt waren.

Doch warum die stammeseigenen Kollegen enttarnen, wenn man jemanden anschwärzen und an den öffentlichen Pranger stellen kann – jemanden, der damals 538 km weiter östlich in Bukarest lebte und somit weit weg war von Timişoara (Temeswar)? Jemanden, der mit dem banatschwäbischen Schnüffelbetrieb nichts zu tun hatte.

So schützt  man geschickt die Eigenen und verleumdet einen Anderen. Und wie heißt es doch so treffend im Rumänischen: Prost, prost, dar e de-al nostru (Dumm, dumm, aber er ist einer von uns). Anscheinend gibt es eine Art Solidarität von Gleichartigen, auch wenn sie verschiedenen Gesinnungen angehören.

Die neue kämpferische Literatur jener deutschstämmigen Volksgruppe ließe sich so vielleicht in einem einzigen sparsamen Satz zusammenfassen: Die Opportunisten waren immer schon die Anderen.

Man könnte nun auch auf den Balken im eigenen Auge hinweisen, den man nicht sehen will. Und dass eine Krähe einer anderen kein Auge aushackt. Vielleicht aber auch an das tiefsinnige jüdische Sprichwort erinnern: Lügen anhören ist schwerer als Lügen verbreiten. Und so tut man, wie immer schon, einfach das, was weniger schwer ist und sieht weiterhin den rumänischen Geheimdienst in der arteigenen Redaktion vor lauter Spitzeln nicht.

Die Verleumdung aber tötet drei Menschen: den Verleumder selbst, den, der die Verleumdung mit anhört, und den Verleumdeten, heißt es im Talmud. Doch wer liest schon im Talmud, wenn er ohne viel geistigen Aufwand seine selbstverfassten Briefe wieder lesen kann?

Am 4. Februar 1985 schrieb ein damals noch junger Autor aus Temeswar (namens Horst Samson) einen vertrauensvoll offenen Brief an einen Freund, Förderer und ehemaligen Studienkollegen, den damaligen stellvertretenden Chefredakteur der Zeitschrift „Neue Literatur“ in Bukarest, Claus Stephani. Beide hatten zwei Jahre zuvor, 1983, ihr Fernstudium an der Bukarester Journalistikfakultät, der Academia „Stefan Gheorghiu“ abgeschlossen, wonach Samson Redaktionsvertreter der „Neuen Literatur“ in Temeswar wurde.

In seinem Brief – einem aufleuchtenden Zeitdokument aus dunkler Zeit – schilderte Horst Samson unverblümt die Situation beim zentralen Schwabenblatt „Neue Banater Zeitung“ Mitte der 1980er Jahre.

Man sollte doch endlich wissen dürfen, wie es tatsächlich ausgesehen hat im real existierenden banatschwäbischen Kulturbetrieb und warum die rumäniendeutschen Politiker in ihrer privilegierten Idylle ängstlich schwitzen mussten.

Nachfolgend eine Abschrift und das gescannte Original des Briefes.

© Claus Stephani

 

[Briefkopf]

Temeswar, 4.02.1985

Lieber Claus,

auf Deinen Anruf – wir wollten sehen, ob wir nicht einiges für Totok tun könnten – habe ich heute vergeblich gewartet. Ich habe leider nicht die leiseste Vorstellung davon, was man für ihn tun könnte, nachdem ihn die NBZ-Redaktion auf Befehl des Temescher Kreisparteikomitees fertig gemacht hat. Wir sind kurz vor dem Ende, wer will daran noch zweifeln!? Unsere Kulturlandschaft  ist ja teilweise bereits in den Abgrund gedriftet (Radio und Fernsehen in deutscher Sprache). Die deutsche Abteilung des Facla Verlags gibt es auch nicht mehr! Alles andere ist nur noch eine Frage der Zeit. Und man wird nicht zu lange zögern, uns kaputt zu sparen. Doch unsere rumäniendeutschen Politiker sitzen auf ihren dicken Ärschen und schwitzen vor Angst um ihre Stühle, anstatt in corpore abzutreten. Die NBZ sieht aus, als würde sie mit den Füßen geschrieben sein. Hühneraugen und Kopfmissgeburten. Und das ist alles. Und nun hat man auch noch die ganze Bande vom territoriellen Rundfunkstudio in die Redaktionen (3 zur NBZ, 1 zum NW) geschleust. Mit wenigen Ausnahmen sitzt jetzt dort Spitzel neben Spitzel und Ohr neben Ohr.

Lieber Freund, schicke Dir beiliegend die versprochenen Gedichte. Schön wäre es, wenn „Federico“ in der Aufstellung wäre! Das Foto ist nicht besonders, doch ein anderes hatte ich zur Zeit nicht bei der Hand. Bitte mir beim Erscheinen der Texte zwei Exemplare der Zeitung zukommen zu lassen. Lege auch eine Rezension für die NL bei.

Mit den besten Grüßen

[handschrl. Name des Absenders Horst Samson]

p.s. Wenn mein NL-Ausweis fertig ist, bitte mich zu verständigen.

 

Zu den Kürzeln: NBZ = Neue Banater Zeitung, Tageszeitung in Timişoara/Temeswar; NW = Neuer Weg, Tageszeitung in Bukarest, mit eigener Redaktionsvertretung in Temeswar; NL = Neue Literatur, Monatsschrift des rumänischen Schriftstellerverbandes, Bukarest.

 

Brief v. Horst Samson 4.2.85