Es war Ende 1968 oder Anfang 1969, als ein Beamter der Securitate in die Redaktion der „Neuen Literatur“ kam.  Er hatte sich angesagt und wurde von der Redaktionsleitung freundlich empfangen. Dann stellte er sich den übrigen Redaktionskollegen als Gheorghe Preoteasa vor.

Chefredakteur Emmerich Stoffel und sein Stellvertreter Arnold Hauser hatten am Vortag das Redaktionskollektiv ermahnt, zu dieser Begegnung pünktlich und vollzählig zu erscheinen.

Bevor der „offizielle Besuch“ das Wort ergriff, erläuterte Stoffel die Bedeutung der geheimen Staatsorgane „im Kampf gegen die Staatsfeinde“, die angeblich den friedlichen Aufbau des Sozialismus stören wollen. Dann erklärte Gheorghe Preoteasa den anwesenden Redaktionsmitgliedern – Helga Reiter, Dieter Schlesak, Paul Schuster, Claus Stephani –, dass sie ab nun, wenn von der Redaktionsleitung verlangt, über Kontakte mit Ausländern oder „anderen verdächtigen Personen“  berichten müssen – schriftlich oder mündlich dem Chefredakteur. Dieser war somit verpflichtet, solche Informationen zu verlangen und entgegen zu nehmen. Wenn eine schriftliche Aufforderung erfolgt war, musste diese jedoch an Stoffel wieder zurückgegeben werden.

Von jenem Tag an also sollten nun die Kollegen jede Begegnung mit Ausländern melden sowie den schriftlichen Briefwechsel vorlegen. Meistens bekam man  jedoch die Briefumschläge schon geöffnet. Nach einiger Zeit verzichtete Chefredakteur Stoffel auf die ständige Zensur der Korrespondenz, doch musste man – jedenfalls Stephani – ihm weiterhin über Kontakte mit Ausländern berichten (auch wenn man z.B. mit jemandem von den beiden deutschen Botschaften oder mit anderen Personen zusammen kam oder ein Gespräch geführt hatte).

In einem Privatarchiv hat sich eine solche Aufforderung Stoffels (schriftlich, mit Rundstempel und Registriernummer 31/69 und in rumänischer Sprache, damit die Kopie auch von der Securitate gelesen und verstanden werden kann) erhalten (s. Anlage).

Auffällig ist, dass in diesem kurzen Text des Chefredakteurs  vier Tippfehler zu erkennen sind. Das zeigt, dass diese Zeilen wahrscheinlich  nicht von der damaligen Redaktions-Daktylographin Anny Kloth geschrieben wurden sondern von einer Person, die im Tippen nicht geübt war. Vielleicht sogar von Stoffel selbst?

Bald danach musste auch Arnold Hauser manche Mitteilungen an Redaktionsmitglieder in seiner Eigenschaft als Parteisekretär in rumänischer Sprache verfassen, damit sie auch jene „Stellen“, die des Deutschen nicht kundig waren,  mühelos lesen konnten (s. Anlage).

Es ist anzunehmen (und die Vermutung liegt nahe), dass die (im allgemeinen belanglosen und auch meist unvollständigen) Berichte von Stephani und anderen Kollegen über ihre Beziehungen zum Ausland und zu Ausländern so über Stoffel oder über Hauser zur Securitate gelangt sind und dann mit einem Codenamen versehen wurden. Denn mit einem Codenamen konnten sie dann auch einem (existenten oder nichtexistenten) IM zugeordnet werden.

© Claus Stephani

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Übersetzung des NL-Briefes in die deutsche Sprache:

 

Briefkopf  NEUE LITERATUR

31/69                                                                                            Bukarest, 17. Februar 1969

Genossen

Claus Werner Stephani

Lokalkorrespondent II bei der „Neuen Literatur“

Unterzeichneter Stoffel Emeric, in der Eigenschaft als Chefredakteur der Zeitschrift ‚Neue Literatur’, verantworte ich für die Beziehungen der Redaktion  mit dem Ausland inklusive der Beziehungen eines jeden Redaktionsmitglieds betreffend Probleme der Redaktion.

Aufgrund des oben Gesagten verlange ich, dass Sie die Leitung der Zeitschrift, detailliert und schriftlich, über Ihre Beziehungen zu Herrn Zillich aus der B. R. Deutschland informieren.

 

Chefredakteur

(Emmerich Stoffel)

[Rundstempel / Unterschrift]