Der Roman „Vaterlandstage“ von Dieter Schlesak (Benziger Verlag: Zürich, Köln,1986) trägt den Untertitel „Und die Kunst des Verschwindens“. Blättert man ein wenig in dem Werk, merkt man spätestens  beim Kapitel „IV. Die offne Tür“, dass hier der Untertitel „Und die Kunst des Plagierens“ auch zutreffend gewesen wäre.

     In Dieter Schlesaks Vaterlands-Buch wird ein Hauptheld namens Hermann im Mai 1945 aus Berlin „mit einem russischen Passagierschein nach Hause geschickt“ (s. S. 127 ff.). Dieser Hermann macht dann „noch einen Umweg über die Ostkarpaten“ in der Südbukowina. Hier begegnet er den Huzulen und Zipsern, zwei Ethnien am Rande der Karpaten, und besucht ausgerechnet jene Orte, wo Claus Stephani ab 1965 (!) zahlreiche Tonbandaufzeichnungen gemacht hat.

     So geschieht ein literarisches Wunder, wie es nur in Schlesaks Oeuvre möglich ist. Hermann  erzählt ausführlich von seinen Erlebnissen und dem Umweg über Jedt, Zibau, Lutschina, Großschulligulli usw. – und das mit den Worten von Stephanis Gewährsleuten, die in dessen Büchern „Oben im Wassertal“ (1970) und „Erfragte Wege“ (1975) vorkommen. Man findet bei Schlesak dieselben Wendungen, dieselben Details wie in Stephanis Tonbandaufnahmen. Allerdings ist es bei Schlesak manchmal keine richtige Mundart sondern mehr ein verhunztes Deutsch. Das soll vermutlich dem unkundigen deutschen Leser „Authentizität“ vortäuschen. Denn angeblich sprechen die deutschstämmigen Hinterwäldler dieser Gegend ein schlechtes Deutsch – ein beliebtes Klischee, das immer gut ankommt.

     Schlesak übernimmt auch Gestalten aus Stephanis Buch „Oben im Wassertal“ (Kriterion: Bukarest, 1970), wie z B. Kostan Zikala aus Oberwischau (Vişeu de Sus). Und er lässt sie ihre Geschichten in seinem vaterländischen Buch mit den gleichen Worten wie in Stephanis Tonbandaufnahmen erzählen. So z.B. den Förster Anton Wonthus aus Mariensee (Cârlibaba), den Stephani 1972/73 befragt hatte und dessen Oral-History-Erinnerungen in Stephanis Buch „Erfragte Wege. Zipser Texte aus der Südbukowina“ (Kriterion: Bukarest, 1975) erschienen sind. Nur wird bei Schlesak der „arme verliebte Wonthus“ zum verderbten Idioten und somit zum Opfer von Schlesaks erotischer Phantasie. Denn Wonthus  „schläft“ im Wald mit einer „jungen Wila“ [schöne Hexe] und wird dabei „im Selbstvergessen von den Sicherheitseinheiten überrascht, ein Feuerwechsel, und beide, auch die Schönste, waren tot“ (S. 129). So Schlesak in seiner vaterländisch verknappten Sprache.

     Das muss man sich einmal bildlich vorstellen: Der Förster Wonthus hat Sex mit der schönen Waldhexe Wila und schießt währenddessen zwischendurch auch in die Richtung der bösen Sicherheitseinheiten… Da darf man wohl bewundernd sagen: Ein Zipser Mann, solche wie ihn, gibt es heute nicht mehr.

     Schlesak lässt Hexen, Wåldweibln, Truden, den St. Stoupnik der Huzulen, den Seelenvogel der Zipser und andere phantastische Wesen der karpatischen Volksmythologie aus Stephanis Büchern aufmarschieren oder vorbei flattern, wobei er gleich auch die handelnden Personen und Geschichten einfach mitgehen lässt.

     Was soll man zu so einem vaterländischen Schmonzes sagen?

     Sagen wir es einfach vaterländisch mit einer rumänischen Redewendung: “Unde dai şi unde crapă.” Frei übersetzt: Wo du hinhaust – und was dann daraus wird

     Doch dann endet jeder Spaß, wenn man zurückgreift auf Schlesaks Buch „Capesius, der Auschwitzapotheker“ (s. „Dieter Schlesak im Selbstbedienungsladen“, I). Hier hat er nämlich zum zweiten Mal den Lebensbericht von Baila Friedmann wort-wörtlich wiedergegeben, den Stephani 1984 auf Tonband aufgezeichnet und danach in der Zeitschrift „Neue Literatur“ (35/7, Juli 1984 ) veröffentlicht hatte.

    Bei diesem zweiten Plagiat (im erwähnten Capesius-Band) gibt er dann – als Quelle – sein erstes Plagiat an, wie oben beschrieben. Diese Vorgangsweise ist in der deutschsprachigen Literatur Rumäniens unserer Meinung nach einmalig: Schlesak plagiiert einen Text, ohne Angabe einer Quelle (s. Vaterlandstage, S. 191-192). Dann plagiiert er noch einmal den gleichen Text und gibt dann als „Quelle“ den erstplagiierten Text an (s. Capesius-Band, S. 339-340).

     Wie dreist Schlesak dabei in seinen beiden Büchern vorgeht, zeigt sein Hinweis auf seinen „ehemaligen Kollegen Claus C. [sic!]“ („Vaterlandstage“ S. 191), mit dessen Hilfe er angeblich „jene Frau mit dem weißen Haar“ „wiedergefunden“ haben will [das soll Baila Friedmann gewesen sein, die allerdings damals, als Stephani sie 1984 befragte, kein „weißes Haar“ hatte, wie Fotoaufnahmen zeigen].

     Dem Plagiator Dieter Schlesak ist in der freien Arena deutsch-rumänischer Literaten  ein seltenes Akrobatenstück des Plagiierens gelungen. Dazu Worte zu finden, fällt schwer.

P.S. Um die Herkunft des plagiierten Textes zu tarnen, gibt Schlesak bereits in einer Vorankündigung der „Vaterlandstage“ Teile aus Stephanis Tonbandaufnahme, erschienen in der NL, Juli/1984, wieder (s. Kulturpolitische Korrespondenz, Bonn, 15.4.1986, S. 13 u. 16).

Schlesaks Rechnung ist aufgegeangen: Stephani lebte damals in Bukarest und die KK war ihm nicht zugänglich. Und der ehemalige KK-Redakteur Franz Heinz, von Schlesak arglistig getäuscht, konnte nicht wissen, dass es sich bei dem Text offensichtlich um ein Plagiat handelt.

© Claus Stephani, 10. Februar 2013