Einige Fragen, die auf Antworten warten
In der NZZ Online vom 9. Februar 2011 wird berichtet, dass das Kollegium der CNSAS-Behörde in Bukarest Claus Stephani als IM „Marin“ identifiziert hätte. Markus Bauer, der Verfasser des Beitrags „Der Freund, dein Feind“ bezieht sich dabei auf eine briefliche Mitteilung von Dr. Dragoş Petrescu, Vorsitzender der CNSAS, an Richard Wagner, veröffentlicht im „blogspot“ der „Halbjahresschrift“
Da meine Akte aus der Zeit von 1969-1990 immer noch nicht aufgefunden wurde, konnte ich diese auch nicht einsehen. Daher weiss ich nicht, woher der mir zugeschriebene IM-Name „Marin“ stammt. Ich weiß jedoch, dass ich niemals eine sogenannte Verpflichtungserklärung („angajament“) als „Marin“ unterschrieben habe. Dieser „Marin“ bin ich nicht – was immer man auch als angebliche „Beweise“ vorzubringen versucht.
Auf meine Anfrage an das Kollegium der CNSAS, wieso man zu dieser Erkenntnis gekommen ist, wurde mir mitgeteilt, dass sich die Unterlagen dazu in einem sogenannten „Fond documentar“ (Aktenfundus) befinden würden. Weiter heißt es in dem Brief, dass diese Dokumente nicht aus meiner Akte 1969-1990 stammen. Denn diese wurde immer noch nicht aufgefunden.
In demselben Aktenfundus befindet sich auch die angebliche „Quittung“, mit der Richard Wagner (Berlin) in den Medien hausieren ging, um mich als „IM ‚Moga’“ und angeblichen Geldempfänger der Securitate an den medialen Pranger zu stellen. Es ist ein Pool ungeklärter Akten, in dem sich auch ein „Dosar problemă“, das sich auf die deutsche Minderheit in Rumänien bezieht, befindet. So Dr. Virgiliu-Leon Ţărău, Vizepräsident der CNSAS-Behörde, in einer brieflichen Mitteilung.
Die erwähnte, von Wagner beim Landgericht München 1 vorgelegte angebliche „Quittung“ erwies sich dann im Verfahren vom 17.01.2011 als ein Falschdokument. Richard Wagner wurde verurteilt und muss die vorläufigen Konsequenzen seiner Verleumdung gegen mich tragen.
Als die Kampagne gegen mich losgetreten wurde – zuerst von William Totok, danach von Dieter Schlesak und Prof. h.c. Dr. Peter Motzan – habe ich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20. Februar 2010, Seite 35, in meinem Bericht „Schwester Lüge – Bruder Schmerz“ offen gelegt, wie ich am 30. Mai 1961 von der Securitate „angeworben“ wurde. Nach Verhaftung, Verhör und Androhung mit Dunkelarrest, wurde ich gezwungen, eine sogenannte Verpflichtungserklärung („angajament“) zu schreiben.
Auch heute, nach knapp 50 Jahren, kann ich sagen, dass ich damals dadurch niemandem geschadet habe. Wegen meiner Verweigerung, als IM mitzumachen, wurde ich – nach verschiedenen Erpressungsversuchen – im 2. Studienjahr 1961/62 von der Bukarester Universität, wo ich damals Germanistik studierte, exmatrikuliert. Bereits am 15. November 1962, hatte ich die Verbindung zu den Sicherheitsorganen unterbrochen (rum. „a întrerupt legătura cu organele noastre“), wie es in einem „Raport“ heißt. Und danach, am 12. September 1963, wurde ich von der Securitate wegen “Unaufrichtigkeit, Verweigerung und wiederholtem Nicht-Erscheinen zu festgelegten Treffen entlassen“. Im rumänischen „Raport“ heißt es „abandonat“.
Das alles ist in meiner Akte 1961-1968/69 nachlesbar, die vor mir Prof. h.c. Dr. Stefan Sienerth, Direktor des Instituts für Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS), und William Totok eingesehen haben. Und dieselben bei der CNSAS akkreditierten Forscher haben in eben dieser Akte aus den 1960er Jahren auch lesen können, dass mich die Securitate nach meiner Absage und Verweigerung zur Mitarbeit – auf eine Anzeige hin – jahrelang als angeblichen „westdeutschen Spion“ überwachen und bespitzeln liess. Und nicht nur mich sondern auch alle meine damaligen Freunde und Bekannten. Meine Eltern und meinen Bruder in Kronstadt. Sogar Mädchen, die ich manchmal zufällig kennen lernte. Es wurden Telefongespräche abgehört und protokolliert, Informationen über mich eingeholt u.a.m. Und was dabei der eine oder andere Bukarester Hochschullehrer, Berufskollege oder Redaktionschef so über mich gesagt haben soll – all das steht auch in meiner Akte 1961-1968/69. Für jeden akkreditierten Forscher nachlesbar. Auf Spionage aber stand damals die Todesstrafe oder „bestenfalls“ lebenslange Kerkerhaft.
Im Observator Cultural (Bukarest) stellte vor einiger Zeit Ana-Maria Pop Fragen an selbsternannte Richter und verbale Henker, als eine Meute der sensationsgeilen Journaille über den verstorbenen Schriftsteller Adrian Marino herfiel. Diese Fragen sollte man immer vor einer eiligen Vorverurteilung wiederholen:
Wurde das Leben einer bestimmten Person konkret geschädigt?
Ist jemand dadurch sogar ins Gefängnis gekommen?
Und warum melden sich nicht die angeblichen Opfer dieses angeblichen Informanten, um ernstzunehmende Fakten und glaubwürdige Beweise ihres Leidens offen vorzulegen?
Bisher dominieren Pauschalurteile und allgemeine Behauptungen die Szene, manchmal auch aus zweiter oder dritter Hand. Oder einfach Unterstellungen, wo man meint, man müsse sie nicht belegen, weil sie sich rasch verselbständigen und dann auch so geglaubt werden. Dazu stellt Markus Bauer in derselben Ausgabe der NZZ Online vom 09. Februar 2011 fest, dass diese sogenannte „Aufarbeitung häufig äußerst willkürlich und an bereits in Rumänien existierenden Freundes- und Feindeslinien entlang verläuft“.
Daher abschließend noch einige Fragen, auch wenn man mir jetzt unterstellen könnte, ich wolle ablenken.
Hat sich einer der „Aufklärer“ bisher herangewagt an die eigentlichen vielgesichtigen Galionsfiguren jener Jahre der Diktatur?
An die schillernden Vertreter der parteielitären deutschen Nomenklatur Rumäniens oder an die hochgestellten Offiziere bei Miliz und Securitate, wie z.B. Milizgeneral Steskal in Reschitz/Reşiţa oder Securitategeneral Schnellbach in Temeswar/Timişoara?
Und wer war z.B. der Oberst Wagner, dem IM „Karl Fischer“ Anfang der 1960er Jahre über mich berichtet hat? Und die vielen anderen Gestiefelten aus der roten Prominenz?
Vor allem solche Fragen muss man heute stellen.
„Peştele la cap se împute” (Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken), heißt es auf rumänisch. Warum fasst niemand im Zuge dieser hektischen und medienwirksam lancierten Aufklärungskampagne nach den „Köpfen“ jener ganz „dicken Fische“? Wer hält immer noch schützend seine Hand über diesen trüben, roten Tümpel der Vergangenheit.
© Claus Stephani, 21.03.2011
(Diese Entgegnung wurde von der Neuen Zürcher Zeitung zurückgewiesen. Eine leicht abgewandelte Fassung wollte auch die Siebenbürgische Zeitung nicht abdrucken. Am 03.03.2011 wurde vom Landgericht München I eine weitere einstweilige Verfügung gegen Richard Wagner ausgesprochen.)