Rückblick in die Sperrzone der Aktenordner

Um tacheles zu reden: Das, was heute aus rumäniendeutschem Bereich kommend manchmal über die Bühne deutscher Medien geht, ist oft nichts anderes als eine späte Vendetta. Unter der Tarnbezeichnung „Aufklärung“ werden so meist alte Fehden neu ausgetragen. Dabei sind wie ehedem Neid und Hass tonangebend. Und jene, die sich nun die Rolle kleiner Polizisten und Richter zugedacht haben, maßen sich an, über andere Berufskollegen ein mediales Urteil zu fällen. Ein Urteil, das auf angeblichen „Beweisen“ steht, die einst in rumänischer Sprache verfasst wurden.

Im Schnellverfahren wird so manch ein Autor an den Pranger gestellt, und dann soll er selbst sehen, wie er davon wieder loskommt. Wer den Rufmord überlebt, kann vielleicht danach noch eine „Auferstehung“ haben. Auf den Gräbern der Toten aber darf man herumtrampeln.

Grundlage dieser Kampagne, zu der die gutgläubigen deutschen Medien seit Monaten missbraucht werden, sind die Akten der Securitate, d.h. des ehemaligen rumänischen Geheimdienstes, die nun von dem neuen rumänischen Geheimdienst SRI verwaltet werden. Diese Akten kann man beim CNSAS (Nationalrat zum Studium der Securitate-Archive) in Bukarest einsehen. Zum Aktenarchiv dieser Behörde hat jeder Rumäne oder EU-Bürger mit Hochschuldiplom Zutritt. Man kann sich auch als „Forscher“ akkreditieren lassen, um dann Einsicht zu nehmen in die Akten anderer Personen, wenn man ein Forschungsthema angibt. Und aufgrund eines Antrags und einer Gebühr werden einem auf Wunsch sogar PDF-Kopien zugeschickt – auch von der Akte anderer Personen.

So ist es möglich, dass jemand sich im Kreise von Freunden am Bildschirm die Akte eines Bekannten anschaut. Oder nur gewisse Stellen daraus vorführt, sie kommentiert, den vielleicht unliebsamen, jedenfalls ahnungslos Abwesenden verleumdet und diskreditiert. Und dasselbe geschieht dann hierzulande auch in aller Öffentlichkeit. Und diese Öffentlichkeit muss das, was ihr vorgesetzt wird, als bare Münze hinnehmen. Denn die Akten der ehemaligen Securitate sind alle in rumänischer Sprache. Verständlich somit nur für jemanden, der diese Sprache beherrscht. Einem Rumänisch-Unkundigen kann man anhand von einigen Suggestivsätzen oder Halbwahrheiten weismachen, was vielleicht so gar  nicht stimmt. Zitate, herausgepickt aus einem Kontext und Zeitgeschehen, tendenziös montiert und kommentiert, vermitteln dann ein Zerrbild der betreffenden Person. Üble Nachrede ist sicher keine rumäniendeutsche Erfindung, doch sie ist immer noch das heimliche Tischgebet an manchen Stammtischen von Aussiedlern.

Mir wurde meine Akte aus der Zeit 1970-1990 – trotz wiederholter Anträge auf Einsichtnahme seit 2003 – immer noch nicht vorgelegt. Bei der CNSAS-Behörde in Bukarest heißt es jedes Mal stereotyp, man habe diese „noch nicht gefunden“. Es ist anzunehmen, dass sie noch „in Arbeit“ ist.

Als ich Ende August 2010 eine Teilakte, 1961-1968/69, einsehen durfte, musste ich feststellen, dass man sie vorher „gesäubert“ hatte. Manche Seiten fehlen, an anderer Stelle war die alte Nummerierung durchgestrichen und durch eine neue ersetzt worden. So z.B. folgt im „Dosar personal“ R 203049 nach Seite 2 die Seite 4. Diese 4 ist jedoch durchgestrichen und daneben steht wieder eine 1. Mit dieser Doppelnummerierung geht es dann weiter, und schließlich ist Seite 86 (durchgestrichen)  die Seite 75 usw. usf.

Was mich aber bei dieser ersten Einsichtnahme, auf die ich sieben Jahre gewartet hatte, überraschte, war die Tatsache, dass bereits fast drei Jahre vor mir – wie mit genauem Datum auf einem beigefügten Blatt akribisch festgehalten ist – einige Aktenkundler diese vier Ordner meiner Akte einsehen durften und sich Kopien davon machen ließen. Als erster Prof. h.c. Dr. Stefan Sienerth am 6.11.2007, Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS), angeschlossen an die LMU München – ein mit öffentlichen Mitteln gefördertes Forschungsinstitut, das dem Bundesbeauftragten für Kultur und Medien untersteht und konkrete Aufgaben hat (s. FAZ vom 12.03.2011, Seite Z 3).

Somit kennt also Sienerth nun manche Details aus meinem Leben, und sogar über die politische Einstellung meiner Eltern weiß er bescheid. Alles aus „erster Hand“ der Securitate. Datenschutz ist im Wunderland Rumänien ein unbekannter Begriff. Jedenfalls dann, wenn man „schützend nachhilft“. So sollte das hier auch niemanden wundern.

Verwunderlich ist nur, gelinde gesagt, die tendenziöse Art und Weise, wie Sienerth nun mit meiner Akte öffentlich umgeht. Besonders dann, wenn er „Beweise“ sucht, für etwas, was man nicht beweisen kann. Das erinnert unwillkürlich an jenen Beamten, der einem KZ-Überlebenden eine Sterbeurkunde seines Vaters verlangte. Dieser hatte nämlich von Augenzeugen erfahren, dass sein Vater im KZ zu Tode geprügelt worden war. Davon stand jedoch nichts in den überlieferten „Namenlisten“. Unter uns gesagt: Ich glaube nicht, dass selbst die pedantische Stasi über ihre Verhörmethoden genau Protokoll geführt hat. Warum sollte man dann soviel Akribie ausgerechnet von der rumänischen „Schwester-Behörde“ erwarten? Genau das aber bemängelt Sienerth, als er auf meine erzwungene und unter Androhung von weiterer Dunkelhaft erfolgte Anwerbung zu sprechen kommt. Denn er meint, sie wäre „nicht so verlaufen“, wie ich sie in meinem Beitrag „Schwester Lüge, Bruder Schmerz“ (FAZ vom 20.11.2010, Seite 35) beschrieben habe. Sondern anders. Denn das besagt der Bericht eines Führungsoffiziers aus dem Mai 1961, wo z.B. nicht drin steht, dass mir der Kaffee höchstwahrscheinlich mit einer Droge serviert wurde. Und auch die Dunkelhaft wird nicht erwähnt. Dazu kann ich nur wiederholen, dass ich weiterhin zu dem stehe, was ich darüber geschrieben  habe. Auch wenn die „Schwester Lüge“ sich darüber ereifern mag.

Stefan Sienerth, 1961 ein 14jähriger Junge im siebenbürgischen Dorf Dârlos/Durles, meint anscheinend über jene Zeit besser bescheid zu wissen als ich, der zur „gestraften Erlebnisgeneration“ gehört. (Mir ist weder die Gnade der späten noch jene der westeuropäischen Geburt widerfahren.) Sienerth glaubt nämlich, heute genau sagen zu können, wie und wo meine Verhaftung stattgefunden habe. Weil – verständlicherweise – in meiner Akte manche Details verschwiegen werden und über mich nur aus der Sicht eines Führungsoffiziers berichtet wird. So beginnt Stefan Sienerth sein Verwirrspiel um meine Akte, wobei er die Dinge meist nicht beim Namen nennt sondern ihnen andere Namen gibt. Eben solche, die oft irreführend sind und seiner eigenen Meinungsmache dienen. Kleinigkeiten werden hochgespielt, wichtige Aspekte bagatellisiert oder verschwiegen.

So übersieht der „Forscher“ Sienerth geflissentlich die Notiz, die auf dem Deckel meiner Akte 1961-1968/69 („Dosar personal“ R 203049) zu lesen ist. Hier steht nämlich der Vermerk: „Refuz colaborare“ (deutsch: „Verweigerung der Mitarbeit“).

Nachdem er zugibt, dass die Securitate „auf Lug und Trug“ aufgebaut war, stellt er kritisch fest, dass in meiner Akte „nur ein einziges Beispiel verzeichnet“ sei, wodurch die „negative Einstellung der Familie [Stephani] zum Nationalsozialismus dokumentiert“ wird. Diese Tatsache scheint ihn – verständlicherweise – besonders zu verärgern, weil nicht wenige siebenbürgische Väter fanatische Mitläufer des Naziwahns waren. Dass mein Vater nicht mit der chauvinistisch und antisemitisch ausgerichteten DVR (Deutsche Volksgruppe in Rumänien) mitmarschiert ist, hatte vielerlei Gründe. Jene Kronstädter Bürger, die damals diesem „Verein“ fern blieben, fühlten sich deutschtümlerisch brüskiert. Denn in der DVR hatten meist ehemalige Dorfdeppen das Sagen. Ein Grund weswegen Bourgeoisie und Adel später auch in der Waffen-SS recht spärlich vertreten waren. Dafür umso zahlreicher aber die grobschlächtigen und lauten Burschen vom Lande.  Ihr „Volksgruppenführer“ Andreas Schmidt, selbst ein Bauernbub ohne Abitur aus dem Dorf Manarade/Donnersmarkt, hatte sich erfolgreich hochgebrüllt und somit auch hochgedient.

Sienerth bemängelt auch, dass in meiner Securitate-Akte nicht vermerkt ist, was ich in der FAZ vom 20.11.2010 über eine nazistische Kindergärtnerin gesagt hatte, die mich einst in einen dunklen Keller gesperrt hatte. Kann man dann Stephani noch glauben, wenn jene Szene aus dem Kronstädter deutschen Kindergarten, 1944, der Securitate in Bukarest unbekannt geblieben ist? Gute Frage. Doch es lohnt sich nicht, darüber nachzudenken.

Dass mir 1961 eine Liste abverlangt wurde, auf der etwa hundert Namen stehen, stimmt. Woher weiss jedoch Sienerth – wie er nämlich dazu behauptet -, dass „die Offiziere“ mich „gezielt“ auf diese Personen ansetzen wollten. Auf diesen Listen mußte ich die Namen von Bekannten und auch die von Kommilitonen und Professoren notieren, mit denen ich jeden Tag zusammen kam. Das war kein Geheimnis. Schon gar nicht für die Securitate. Doch ich mußte da auch die Namen meiner Familienangehörigen anführen. Insgesamt waren das damals 62 Personen. Ein Großteil von ihnen lebte in Deutschland. So auch meine aus Württemberg stammende Großmutter, die ich seit meinem 3. Lebensjahr nicht mehr gesehen hatte. Die meisten anderen Verwandten – in Bayern, Berlin und Baden-Württemberg – habe ich, soweit sie noch lebten, erst nach meiner Aussiedlung, 1990, kennengelernt. „Alle seine Listen“ schreibt Sienerth und lässt seiner listigen Fantasie freien Lauf. Die allerdings stolpert manchmal über ihre eigenen Unwahrheiten. Die drei handgeschriebenen Texte von mir sind keine „Berichte“ sondern die erwähnte „Verpflichtungserklärung“, die erzwungene Liste meiner Verwandten, Freunde und Bekannten sowie die sehr positive Charakterisierung über einen Freund.

Stefan Sienerth, einst sozial privilegierter Aufsteiger aus dem sozialistischen Bauernstand und strebsames Parteimitglied, hatte 1979 promovieren dürfen und seinen Doktortitel in Bukarest erworben, von wo er sich dann vor einiger Zeit auch den Prof. h.c. holte. Seine Karriere begann in der Zeit tiefster Ceausescu-Diktatur, als es anderen Wissenschaftlern verwehrt war, zu promovieren. Doch er konnte seine fachliche Laufbahn als Hochschullehrer und Forscher problemlos in Sibiu/Hermannstadt starten.

Sienerth ist konsequent bemüht, Fakten aus meiner Akte, die mich entlasten würden, perfid und tendenziös so zu interpretieren, dass dadurch von mir das Bild eines eifrigen Kollaborateurs entsteht.  Dabei geht er auf seine Art methodisch vor. Es werden Dinge behauptet, die so nicht stimmen, doch als „Beweis“ ihrer „Richtigkeit“ wird dann der „Raport“ oder die Meinung eines Offiziers wiedergegeben. Wenn z.B. ein Führungsoffizier berichtet, Stephani habe über ein Buch von Hans Bergel gesprochen, ein Buch, das – so der Securitate-Mann – angeblich „faschistische Ideen“ enthalte und in dem sich der Autor einer „faschistischen Sprache“ bediene, so wird  diese Einschätzung Stephani unterstellt. Dabei ist aus dem Kontext klar ersichtlich, dass die Bewertung Bergels vom Offizier selbst stammt. Doch der Securitate soll man ja aufs Wort glauben. Das heißt – immer dann, wenn es einem in den Kram passt. Ansonsten ist alles, wie bereits gesagt, nur „Lug und Trug“.

Hans Bergel saß damals, 1961 – nach dem inszenierten Schriftstellerprozeß 1959 – schon einige Jahre im Gefängnis, das Buch war Jahre vorher in einer Rezension von Heinz Stanescu im „Neuen Weg“  besprochen worden, und die Securitate war sicher nicht auf die späte Meinung des Studenten Stephani angewiesen. Doch Sienerth stellt die ungeheurliche Behauptung auf, Stephani habe auch Hans Bergel angeschwärzt. Dieser „Raport“, den ich erst bei Einsicht in meine Akte zu Gesicht bekam, trägt nur die Unterschrift eines Führungsoffiziers. Meine nicht.

Sienerth zitiert sogar den IM „Karl Fischer“, und der habe im August 1963 „ein äußerst negatives Bild vom Studenten und jungen Autor Stephani gezeichnet“. Denn das, was der IM „Fischer“ sagt, muss ja wohl stimmen. Ich weiß nicht (und ich will es auch nicht wissen), wer jener Denunziant mit Decknamen „Fischer“ „aus dem Umfeld der Redaktionen des ‚Neuen Weg’ und der ‚Neuen Literatur’“ war, der mich damals – wie aus meiner Akte hervorgeht – öfters bösartig belastet hat. Vielleicht weiß es aber Stefan Sienerth, denn er glaubt diesem „Fischer“ und somit auch der Akte, selbst wenn das, was der über mich behauptet, aus dem Trüben „gefischt“ ist.

Dieser IM „Fischer“ schreibt, ich hätte nicht wegen der erzwungenen „geheimdienstlichen Tätigkeit“ mein Studium vernachlässigen und aufgeben müssen, sondern aus ganz anderen Gründen, die er aber nicht benennt. Im ersten Studienjahr 1960/61 gehörte ich allerdings noch zu den Vorzeigestudenten. In meiner Akte beruft sich „Fischer“ auch auf eine Information des Altkommunisten Emmerich Stoffel, der unter anderem gesagt haben soll, ich würde mich „anstatt zu studieren, mehr mit Töchtern von Generälen befassen“ (gemeint sind die beiden Töchter eines ehemaligen königlichen Generals, mit denen ich damals befreundet war). Und so glaubt Stefan Sienerth wieder dem anonymen IM „Fischer“ und somit also der Securitate – und das ohne zu zögern. Denn die beiden Informanten, Stoffel und „Fischer“, sind eben glaubwürdig, nur weil sie Stephani diskreditieren.

Einmal versucht Sienerth allerdings auch, mich auf seine Weise zu „rehabilitieren“, indem er angibt, ich habe als „ehemaliger Arbeiter eine gesunde soziale Herkunft“ gehabt. Doch auch das stimmt nicht, denn auch hier verlässt sich Sienerth auf Angaben aus der Akte. Fakt ist, dass ich 1952 wegen meiner „ungesunden sozialen Herkunft“, wie es in der sozialistischen Kadersprache hieß, nicht zum Tagesgymnasium zugelassen wurde. Deshalb musste ich mich – 15jährig – als Bauarbeiter anstellen lassen, um dann abends die Schulbank drücken zu dürfen. So wurde ich Arbeiter. Und deshalb habe ich an einem Abendgymnasium mein Abitur abgelegt. Doch danach war ich nicht „sozial gesunder“  geworden.

Auch die Tatsache, dass ich nach meiner Entlassung als IM („abandonare“) lange Zeit von der Securitate auf Schritt und Tritt beschattet und verfolgt wurde, wird von Sienerth verschwiegen.  Dabei hatten mich damals, wie aus der Akte ersichtlich, drei Offiziere „in Bearbeitung“ gehabt, und jeder gab dazu seine mich abwertende Meinung schriftlich zu Papier. Sienerth verliert auch kein Wort darüber, dass man lange Zeit meine gesamte Korrespondenz mitlas, kopierte und übersetzte, dass man  Telefongespräche registrierte und danach aufschrieb. Denn damals stand ich, wie auch in meiner Akte ausführlich dokumentiert wird, unter dringendem Verdacht, ein „westdeutscher Spion“ zu sein. Angeworben hätte mich angeblich eine deutsche Touristin. Damit wollte man mir, aus Rache wegen meiner Verweigerung jeder weiteren Mitarbeit, langsam einen Strick drehen. Denn auf Spionage, d.h. Landesverrat, stand die höchste Strafe. Ein Wunder, dass ich nicht wie zufällig in diese Falle getappt bin.

Ich war erschüttert, als ich vor einigen Wochen in der mir vom CNSAS endlich zugesandten Kopie meiner Akte der 60er Jahre zum ersten Mal nachlesen konnte, wer alles aus meinem damaligen Freundes- und Bekanntenkreis ebenfalls bespitzelt wurde. Und das oft nur deshalb, weil man die betreffende Person einmal zufällig mit mir, dem vermutlichen „Spion“, gesehen hatte. Das aber, was erhellend wäre für die Ereignisse jener Zeit, die nun ein halbes Jahrhundert zurückliegen, das übergeht Stefan Sienerth geflissentlich. „Aufklärung“ nach zweierlei Maß? Und wie weit darf ein „Aktenkundler“ gehen, wenn er  emsig in der Vergangenheit seiner Mitmenschen schnüffelt? Denn mit wissenschaftlicher „Vergangenheitsbewältigung“ hat das kaum etwas zu tun.

Was aber treibt den Literaturhistoriker Stefan Sienerth zu dieser üblen Vorgangsweise an? Und man darf sich fragen, ob er tatsächlich an einer objektiven Aufklärung im eigentlichen Sinne interessiert ist, oder nur an der Weiterführung einer Vendetta. Und was verspricht er sich davon, wenn er Richard Wagners dümmliche Verleumdung, ich hätte „von der Securitate Geld für Spitzeldienste erhalten“, herunterspielt? Obwohl da ein von Wagner anerkanntes Endurteil vom Landgericht München 1 vorliegt. Trotzdem wird Wagners intrigante Behauptung von Sienerth als „etwas voreilig“ bewußt verharmlost.

Weit mehr als nur „voreilig“ finde ich Sienerths uneingeschränkte Behauptung, ich wäre der IM „Marin“ gewesen, obwohl ich weder eine „Verpflichtungserklärung“ noch Berichte als IM „Marin“ unterzeichnet habe. Diese Behauptung stützt sich auf eine Mitteilung eines Bukarester  CNSAS-Beamten. Ausgerechnet Sienerth – am 17.11.2010 in der NZZ mit dem Ausspruch zitiert: „Man soll keine Dinge in die Welt setzen, die nicht eindeutig belegt sind“ – geht mit Vorverurteilungen großzügig um.

Stefan Sienerth beendet seinen ausführlichen FAZ-Beitrag mit einer unverhohlenen Drohung und kündigt „eine weitere Geschichte“ an, „die darauf wartet, ausführlicher erzählt zu werden“. Noch „ausführlicher“? Diese Geschichte belegt eine ganze Zeitungsseite. Und danach hat man immer noch nicht erfahren, was tatsächlich wichtig wäre: Wer konkret die angeblichen „Opfer“ waren und was ihnen nachweisbar auf beruflicher, sozialer oder politischer Ebene zugestoßen wäre.

Dafür aber wurde einem „ausführlich“ erzählt,  wie ein gewisser Stephani „es nicht verwinden“ konnte, „dass andere schriftstellerisch mehr Erfolg haben als er“.  Doch auch da nennt Sienerth wohlweislich keine Namen. Er stellt eine Behauptung auf, die sich dann verselbständigt, wächst und schließlich als Selbstläufer – und nicht nur an heimattreuen Stammtischen – weitergereicht wird. Aufbereitet von der Gerüchteküche, die hierzulande nicht nur nach rumäniendeutschen Rezepten köchelt. Und irgendwann erinnert man sich nur noch: da war etwas ganz Böses im Zusammenhang mit jenem Schriftsteller Stephani. Doch was das war, kann man nicht mehr genau sagen. Etwas Dreck bleibt aber immer hängen. Dreck als letzter Gruß der östlichen „Heimat“.

Es ist die einstige, bewährte Taktik der Securitate-Abteilung „Sectia zvonuri“ (Abteilung zur Verbreitung von Gerüchten bzw. Verleumdungen), die jene Menschen diffamierte, die dem Regime nicht ins Bild vom Sozialismus passten. Abgeguckt hatte die rumänische Sicherheitsbehörde diese Strategie von einem erfolgreichen deutschen Propagandaminister, der 1945 sich und seine Familie in den Tod schickte. Und so erfährt man auch nicht, wer diese beneidenswerten Erfolgsautoren von damals waren, bei denen Stephani, so Sienerth,  neidisch „in Erscheinung tritt“.

Dass aber z.B. Emmerich Stoffel (Altkommunist mit sieben Volksschulklassen, Mitglied des ZK der RKP) als Chefredakteur einer Literaturzeitschrift ungeeignet war, musste nicht erst der Securitate „mitgeteilt“ werden – worauf Sienerth ebenfalls anspielt und dabei auf mich weist. Das wusste man bei jener Behörde vermutlich schon längst. Denn gerade diese Inkompetenz machte Stoffel, vorher rumänischer „Diplomat“ in der Schweiz, „geeignet“ für eine solche Stelle im literarischen Bereich.

Ähnlich unbedarfte, parteigesteuerte Aufsteiger aus den proletarischen Reihen der deutschen Minderheit, die immerzu nach oben drängten, gab es eine ganze Reihe. Sie gehörten zur roten Nomenklatur und unterschieden sich von der übrigen Parteielite nur durch ihre meist deutschklingenden Namen. Über Arnold Hauser, der ebenfalls genannt wird (er war einst Arbeiter gewesen und hatte dann als Redakteur im Schnellverfahren das Abitur „nachgeholt“), kann man nachlesen in einem Buch von Ingmar Brantsch, der Leute und Taten jener Zeit unverblümt schildert.

Ich hätte von Stefan Sienerth eigentlich mehr sachliche Kompetenz und wissenschaftliche Fairnass erwartet. Und da er und sein Institut nun im Besitz einer Kopie meiner „gesamten“ Akte von 1961 bis 1968/69 ist, hätte ich auch erwartet, dass er daraus korrekt und vollständig zitiert. Und nicht parteiisch einseitig und mit üblen Hintergedanken, um so dem ahnungslosen deutschen Leser ein Zerrbild vorzuführen. Soviel Mühe, wie ich einst mit seinen Beiträgen hatte, die ich oft genug in der „Neuen Literatur“, in der von mir betreuten Rubrik „Manuscriptum“, veröffentlicht habe, hätte er sich nun auch machen können. Auch sollte man bei der Beurteilung erzwungener IM-Tätigkeit für alle Betroffenen gleiche (objektive)  Maßstäbe setzen. Besonders beim Zitieren von Fakten und Berichten. Das aber setzt eine gewisse  Fachkenntnis voraus.

Doch anscheinend braucht das von Stefan Sienerth geführte IKGS jetzt wieder ein lebendes „Bauernopfer“. Bisher ist man auch gelegentlich über Leichen gegangen, wenn jemand post mortem verschrien wurde. So verschrien, dass man es vermutlich bis ins Jenseits hören konnte. Den Dichtern Alfred Kittner und Oskar Pastior ist dieser mediale Pranger erspart geblieben. Sie haben vielleicht „rechtzeitig“ das Zeitliche gesegnet. Vielleicht war das gut so. Vielleicht aber hätten auch sie sich zu Wort gemeldet. Doch nun bleibt ihr Andenken von den Aktenordnern h.c. für lange Zeit beschädigt.

© Claus Stephani, 25. März 2011

(Nachdem diese Entgegnung zu Stefan Sienerths Text in der FAZ vom 12.3.2011, Beilage Bilder und Zeiten, S. Z 3, nicht erscheinen durfte, ist der Autor gezwungen, sich an dieser Stelle dazu  zu äußern.)