Der bittere Nachgeschmack einer „minimalen Kürzung“

Zunächst die Fakten:
Am 11. 12. 2014 schickte ich untenstehenden Leserbrief zum Artikel „Problematisches Urteil in Sachen Securitate. Die Beweisfrage“ von Markus Bauer (NZZ, 10.12.2014) an Herrn Andreas Breitenstein (Feuilleton der NZZ) mit der Bitte, diesen sowohl online als auch in der Printausgabe zu veröffentlichen. Dabei hielt ich mich genau an die von der NZZ für Leserbriefe bzw. Kommentare vorgegebene Netiquette zu „einer konstruktiven Diskussion“.

Am 16.12.2014 kam von Herrn Breitenstein die Antwort:

„Sehr geehrter Herr Stephani, danke, wir drucken Ihre Zuschrift minimal gekürzt voraussichtlich nächste Woche als Entgegnung ab […].“

Was Herr Breitenstein in seinem Brief als „minimale Kürzung“ bezeichnet, ist im nachfolgenden vollständigen Text des Leserbriefs rot markiert.
So kann jedermann erkennen, dass hier eigentlich die minimale Wahrheit gekürzt wurde, damit die maximale Unwahrheit sich weiterhin breit machen kann.
Und damit wird die ganze Wahrheit wieder maximal verschwiegen.
Sollte man nun diese Art von „minimalen Kürzungen“ als eine Neue Zürcher Zensur bezeichnen?
Anscheinend ist in diesem Fall Pressefreiheit, nur die Freiheit dessen, der am „Pressehebel“ sitzt.
Anders gesagt: Du kannst deine Meinung frei äußern, vorausgesetzt sie stimmt mit unserer Meinung überein.
Und so werden diffamierende Behauptungen ausgestreut – nicht etwa im Namen der Gerechtigkeit oder Wahrheit sondern weiterhin „minimal“ fälschend und maximal verschweigend.

 

Eine Replik in Sachen Securitate: Behauptungen sind keine Beweise

Claus Stephani, NZZ-Leserbrief vom 23.12.2014

Hätte Markus Bauer vor dem Erscheinen seines Beitrags «Problematisches Urteil in Sachen Securitate. Die Beweisfrage.“ (NZZ 10. 12. 2014) mein Angebot angenommen, ihm Unterlagen zur Sache zu geben, wären ihm bei der «Beweisfrage» nicht so viele Ungenauigkeiten unterlaufen. Das von ihm erwähnte «offizielle Schreiben» von Dragos Petrescu war ein Antwortbrief an den Schriftsteller Richard Wagner und kein CNSAS-Dokument im Sinne eines Beschlusses zur Feststellung der Eigenschaft eines Kollaborateurs bzw. eines informellen Mitarbeiters (IM) der Securitate. Dazu sind weder die CNSAS (Consiliul National pentru Studierea Arhivelor Securitatii) noch ihr Direktor Petrescu befugt.

 
Solche Dokumente (rumänisch «decizie») werden nämlich nur von einer Kommission, und zwar dem CNSAS-Kollegium, erstellt und schon gar nicht von einer Einzelperson und als «private Korrespondenz». Denn: «Die CNSAS-Behörde urteilt nicht und schreibt auch niemandem diese Eigenschaft [des Kollaborateurs] zu, sondern macht dem Gericht aufgrund einiger Archivmaterialien einen Vorschlag.» So Germina Nagat, Leiterin der Direktion für Überprüfungen im Rahmen des Nationalen Rates für das Studium der Securitate-Archive, in einem Interview der «Revista 22».

 
Was die Entstehung und Fälschung von IM-Berichten betrifft, zitiere ich aus dem Band «Raport final» (herausgegeben von der Präsidentialkommission für die Analyse der kommunistischen Diktatur in Rumänien, Bukarest, 2007, S. 515): «Eine Extremsituation, die eine separate Behandlung verlangte, war die Simulierung der Beschaffung von Informationen von Quellen aus dem Netz – anders gesagt, die Simulierung der Rekrutierung von neuen Informanten [. . .], so dass es scheinen sollte, der Offizier habe Informationen von einer Quelle aus dem Netz erhalten [. . .]. So mystifizierten sie Dokumente [. . .], um sie dann in informative Noten umzuwandeln, indem sie ihnen [den informativen Noten, Anm. d. Übers.] einen spezifischen Briefkopf hinzufügten und die Klarnamen der Unterschriften in Code-Namen änderten und diese [dann] Quellen zuordneten, die es in Wirklichkeit nie gegeben hat.»

 
Was Herta Müllers Aussagen betrifft, auf die Markus Bauer in seinem Artikel referiert: Sie ist auch als Literaturnobelpreisträgerin keine Instanz für die Wahrheitsfindung. Vielmehr grenzen ihre Behauptungen, leicht dahingesagt und nie belegt, an eine gewisse Arroganz der Macht. Und mit diesen wird immer wieder hausiert.
Markus Bauer rügt in seinem Beitrag das Oberlandesgericht München, weil seine Richter «handfestere Beweise» fordern. Gab es denn bisher überhaupt «handfeste Beweise»? Wer unsichere Dokumente als sogenannte «beweiskräftige Dokumente» vorlegt, muss eben damit rechnen, dass er den Streit um die Wahrheit verliert.

 
[[Im Originaltext:] Wer Fälschungen als sogenannte „beweiskräftige Dokumente“ vorlegt, muss eben damit rechnen, dass er den Streit um die Wahrheit verliert. So wie z.B. Richard Wagner, der mit einer gefälschten „Quittung“ „belegen“ wollte, ich sei von der Securitate für „meine Dienste entlohnt“ worden.]

 
Es stimmt, dass ich mich, wie der Verfasser des Artikels schreibt, in meinem «Persönlichkeitsrecht verletzt» sehe und deshalb vor Gericht erfolgreich geklagt habe. Absurd ist jedoch die Behauptung, das sei nun «für Forschung und Publizistik [. . .] ein erhebliches Hindernis zur öffentlichen Klärung historischer Sachverhalte [. . .]».

 
Gerade das Gegenteil ist der Fall. Durch diese Gerichtsurteile wird niemand daran gehindert, wissenschaftlich zu forschen. Eine fachkundige Aufarbeitung der rumäniendeutschen Securitate-Verstrickungen durch Historiker und Politologen kann ich und will ich auch nicht verhindern, indem ich vor Gericht klage. In den Medien wird immer nur von vermeintlichen «Opfern» gesprochen. Doch der als «Täter» Verteufelte hat keine Chance, sich medial zu äussern, und sieht sich gezwungen, vor Gericht zu gehen. So wird diese Debatte seit Jahren nur einseitig geführt.

 
Eine objektive Aufarbeitung der Securitate-Zeit würde auch ich begrüssen. Das aber müssten dann, wie gesagt, Fachleute mit guten Rumänischkenntnissen tun, die ausserdem auch Kenner der rumänischen Geschichte des letzten Jahrhunderts sind. Diese Aufarbeitung darf nicht privatisiert und Amateuren überlassen werden.